Das sind 7:15 ungefilterte Minuten, die mich fassungslos machen.
Wenn man das so sieht, muss man sich ehrlich fragen, ob wir als Land, Sozialstaat und Gesellschaft nicht längst gescheitert sind.
Der Mob, der sich da in Berlin zusammengerafft hat, ist eine krude Mixtur aus Spinnern jeglicher Couleur, die sich vor Monaten noch gegenseitig an die Gurgel gegangen wären, jetzt aber einträchtig „Hand in Hand“ gegen das Unrechtsregime „Bundesregierung“ kämpfen.
Mir wird wirklich Angst und Bange, wenn ich Typen wie den fast weinenden Vater da sehe, der flehentlich „Freiheit für meine Kinder“ skandiert. Oder den Typ an der Kamera, der sich allen Ernstes „Presse“ nennt.
Da stürmen Menschen Absperrungen und reden zwei Sekunden später von Polizeigewalt, wenn sie zurückgedrängt werden.
Ich bin kein Freund der Polizei im Allgemeinen, aber die drei Jungs in Uniform haben meinen Respekt, in dieser Situation so „ruhig“ zu bleiben, während sich dieser aufgebrachte Mob hochschaukelt.
Der Anfang des Videos, als der Filmer in voller Ekstase auf den Reichstag zuläuft mit den Worten „Das ist der Wahnsinn!“, steht für mich sinnbildlich für die vielleicht bedenklichste Gruppe dort in Berlin: Menschen, die aus Überdruss an Langeweile und fehlenden Parties und Sensationsgier bei dem „Happening“ Anti-Corona-Demo tanzend mitmachen.
Dieser Trend ist die eigentliche Gefahr, nicht die schon lange verlorenen Idioten von den linken und rechten Rändern, die sich seit längerem durch Social Media, aber jetzt erst Recht irgendwie „in der Mitte der Gesellschaft“ wähnen. Die sind sowieso „lost“, da ist jedes Wort vergebens.
Mit Sorge sehe ich in meinem Feed, der ja durchaus von einer gewissen Anzahl an Personen gespeist wird, wie täglich einer mehr den Querdenkern und Schwurblern an den Haken geht.
Dass man Politikern kein Vertrauen schenkt, ist kein neuer Trend und, da müssen sich die Volksvertreter sicher auch in Teilen an die eigene Nase fassen, ein hausgemachtes Problem.
Dass die Medien nicht mehr den besten Ruf genießen, ist ebenfalls eine Entwicklung, die sich seit längerem beobachten lässt.
Doch dass Ärzte und Wissenschaftler nun unverhohlen von Köchen und Menschen, deren profunde medizinische Expertise bestenfalls auf dem Was ist was-Band „Medizin“ basiert, als Lügner, Ahnungslose, Marionetten oder Bestochene diffamiert werden, ist eine gänzlich neue Qualität und sollte uns nun endgültig vor Augen führen, dass es längst nicht mehr „Fünf vor zwölf“ ist im „Kampf“ um unsere gesellschaftliche Zukunft.
Ganz ehrlich:
Ich finde Mundschutz auch nicht geil und kriege nach Stunden dahinter Kopfweh.
Ich vermisse es, Menschen privat wie beruflich die Hand zu geben.
Ich vermisse es noch mehr, gute Freunde und geliebte Menschen in den Arm zu nehmen und zu drücken.
Ich vermisse es, unbeschwert ohne „Regeln“ in einem Club zu stehen und Gas zu geben.
Ich vermisse schlicht und ergreifend das Leben, wie es vor dem 7. März 2020 war.
Wie wir wahrscheinlich alle.
Und auch ich stolpere über Fragen, deren Antwort ich nicht kenne und auch nicht sofort finden kann. Auf die es vielleicht sogar keine gibt.
Gibt es wirklich mehr Infizierte? Oder liegt der Anstieg nur an dem Mehr an Tests?
Wie „gefährlich“ ist das Virus?
Schützen mich meine Maßnahmen im Alltag?
Wie lange soll das noch so weitergehen mit den massiven Einschränkungen?
Wird meine Firma diese Krise überleben?
Klar haben wir alle Ängste, die uns dieser Tage überkommen.
Und Zweifel, ob das alles so richtig ist und wir nicht zu viel oder zu wenig tun.
Und zweifelsfrei machen alle, die in dieser außergewöhnlichen und außergewöhnlich schweren Zeit Verantwortung für unsere Gesellschaft tragen, Fehler. Wie auch nicht in einer nie da gewesenen Situation ohne Patentrezept in der Schublade.
Und es muss erlaubt sein, kritische Fragen zu stellen und Meinungen auszutauschen.
Doch es kann niemals ein akzeptabler Weg sein, sei es aus Angst oder Verzweiflung, zu tolerieren, dass sich Reichsbürger, Nazis, Linksextremisten, Querdenker, Anoner, Besatzungsgläubige und Impfgegner auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen und für diesen Stimmung machen.
Wenn uns etwas an unserem Land mit seiner Demokratie, seinem Sozialstaat, seinem Frieden und seinem Wohlstand liegt, muss die „wirkliche, aber viel zu leise Mitte der Gesellschaft“ abermals einen Weg finden, sich Platz und Gehör zu verschaffen, um eine deutliche Antwort auf diesen Wahnsinn zu geben.
Zur Wahrheit gehört:
Der dringender denn je benötigte „Aufstand der Anständigen“ wird keinen einzigen Idioten bekehren, das ist klar.
Aber mit seiner Wucht wäre es für ihn nicht mehr als ein Federstreich, den Keil aus der Tür zu treten, mit dem diese Wahnsinnigen versuchen, unsere Gesellschaft zu spalten.
Das kann gelingen.
Aber meine Hoffnung schwindet, wenn ich Bilder wie diese sehe.